Brandenburger Torheiten

Nach ihrer ersten Berliner Ausstellung „Quadriga zügellos“ im Jahr 2000 veranstaltete Ursula Stock 2005 die Ausstellung „Brandenburger Torheiten“ im Haus der Deutschen Wirtschaft in Berlin.

Günther Wirth: Das Tor, die Torheiten und ein roter Reiter

Quadriga Variationen (2), Bronze, 2000
Quadriga Variationen (2), Bronze, 2000

Das Mythologische, hinter dem sich das wahre Wesen der Welt verbirgt, aus dem alles auftaucht, was das Leben geheimnisvoll und rätselhaft macht: Götter, Engel und Dämonen, ist aus dem bildnerischen Werk der Ursula Stock nicht wegzudenken. Das Antikische als kultische Idee läßt sie ebenso wenig los, wie die Angrenzungsversuche an das Archaische. Alles, was sie an Kunstfiguren erschafft, erscheint gefesselt von Zeit, von geschichtlicher Erfahrung und gegenwärtigem Befund. Diese dialogische Beziehung wird Ansatz- und Ausgangspunkt ihrer Arbeit, die sich medial nicht beschränkt, sondern Bilder, Zeichnungen und Plastiken umfasst.

Quadriga zügellos, Zeichnung, 1995
Quadriga zügellos, Zeichnung, 1995

Aus der Beziehungsgeschichte von Kulturgeschichte und Gegenwart entstehen in den Arbeiten der Künstlerin partiell surreale Bezüge, die zuweilen mit Manierismen in der Formgebung korrespondieren. Darunter sind aber nur Akzentuierungen zu verstehen, welche die ganz autonome Position der Ursula Stock in der Gegenwartskunst noch unterstreichen.

 

Ihr Berliner Debut vor wenigen Jahren am gleichen Ausstellungsort, machte das Publikum neben den großen Figuren auch mit den Bronzen zur Thematik der "Quadriga Variationen " bekannt, wozu sich die großformatige Graphitzeichnung „Quadriga zügellos“ gesellte. So lautete dann auch der Titel des die Ausstellung begleiteten Katalogs, der im Grunde bereits darauf hinwies, daß auch ein ironischer Aspekt ins Spiel gekommen war. Von Zufall kann dabei nicht die Rede sein, denn seit jeher haben Ironie und Irrwitz einen bestimmten Stellenwert im bisher vorliegenden Werk, der mit der Qualität der denkerischen Einsichten zu tun hat, die hier der künstlerischen Produktion zu Grunde liegen.

 

Das erklärt summarisch, weshalb nun der Weg von „Quadriga zügellos“ zu den „Brandenburqer Torheiten“ führte. Was Johann Gottfried Schadow im Jahre 1794 in zwanzig Metern Höhe aufstellen ließ, was für Napoleon ein Beutestück war, dann aber nach sieben Jahren von Paris nach Berlin zurückkehrte, 1945 zerstört wurde und seit 1958 als geglückte Nachbildung den alten Standort erhielt, hat zweifellos für die Bundesrepublik Deutschland eine exemplarische Bedeutung. Symbolik hat der klassizistischen Viktoria mit dem Vierergespann zusätzliches Gewicht gegeben.

Quadriga verkuppelt
Quadriga verkuppelt

Aber auch historisch begründete Gewichtigkeiten können zum künstlerischen Spiel, bei dem es sich ja immer um Neuformung und Neugestaltung – auch durch Weglassen – handelt, anregen. Ursula Stock, immer gut für eine gänzlich neue und dadurch überraschende Sicht der Dinge, beschäftigte sich in den letzten vier Jahren derart intensiv mit Quadriga und Brandenburger Tor, daß daraus nicht nur eine ganze Serie von Zeichnungen entstand, sondern auch eine Reihe von neuen Plastiken. Was mit dem quadratischen Blatt „Quadriga verkuppelt“ einsetzt, witzig im Figuralen, behütet von gläserner Architektur, wird in den Vorderansichten des Brandenburger Tores mit wechselnden Formattributen, die sich auf die geschichtliche Entwicklung während der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts beziehen, fortgesetzt. Von nicht zu übersehender Bedeutung ist dabei der jeweilige Wechsel der Standarte und der Embleme in den Händen der Viktoria. Von Zeichnung zu Zeichnung sieht sich der Betrachter einer anderen politischen Konstellation gegenüber. Zeichnend belegt Ursula Stock, was, von einer höheren Warte aus gesehen, mit „Brandenburger Torheiten“ treffend benannt wird. Architektonische Härte und Kühle verbindet sich in den Blättern mit einer sensiblen Strichführung, die sich auch in der dunklen Binnenstrukturierung zeigt.

Das Absurde der Verfremdungen, denen die Quadriga von der Zeichnerin ausgesetzt wird, die aber nur Realitäten zu Ende dachte, führt – bildlogisch gesehen – zur „Quadriga im Labyrinth“. Sie wird als Emblem Mittelpunkt eines Objekts, eines Tisches. Schon ist, in radikaler Eigenwilligkeit und fröhlichem Zynismus, die Quadriga ein Medaillon, das wirkungsvoll im Stande ist, den „Berliner Stuhl“ zu schmücken. Man lehnt sich gerne an ein Labyrinth mit Zierat in schwierigen Zeiten, den Ernst der Lage fixierend. Diesem Möbel-Duo Tisch und Stuhl, völlig Berlin-hörig, setzt die Bildhauerin eine große Version der Bronze „Quadriga zügellos“ entgegen. Die verschiedenen Grade der Abstraktion verleihen dieser Plastik das Spannungsvolle, auch wenn jede Bewegung eingefroren ist, ohne daß die Konfiguration der Arbeit starr erscheint. Davor steht die schräge Statik innerhalb dieser Mengenplastik.

Noch einmal lockt auch die Figur der Viktoria die Künstlerin. Das von ihr geschaffene Modell für Aluminiumguß erreicht jenen Grad der Entrückung, in welcher Meditation und Aktion eines werden. Eine Statue als Künstlertraum. Man erinnert sich an Gottfried Benn: „Statuen bergen die Saat“.

 

Aber da wird von Ursula Stock auch immer wieder jene andere Welt beschworen, in der ein antikes Männerbild seine Bestimmung findet, indem es aufbricht in die Gefährdung, in utopische Gefilde, in Zukünftiges. Roß und Reiter werden zu Dokumenten solchen Tuns. Die Eisenplastik „Roter Reiter“ ist, auch in der Handhabung des Abstrahierens, kennzeichnend für die künstlerische Haltung. Die Idee der Freiheit wird zu einem Monument der Zukunft.

 

Quelle:

Ursula Stock; Heinz Rall (Fotos): Ursula Stock - Brandenburger Torheiten, [Güglingen] 2004, Seite 4-5.